DGE-Kongress
Ernährungssysteme nachhaltig gestalten
Auf dem DGE-Kongress in Kassel diskutierten Anfang März Ernährungsexperten und Verpflegungsverantwortliche über die Gestaltung nachhaltiger Ernährungssysteme zu bezahlbaren Preisen. Dabei standen auch die neuen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der Ernährungsgesellschaft im Fokus.

VerpflegungsManagement, 18.03.2024 – Rund 600 Wissenschaftler, Nachwuchsforscher und Ernährungsfachkräfte trafen sich Anfang März in Kassel und nahmen am 61. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) teil. Das Thema lautete „Ernährung und Alltagsbewältigung – ein Spannungsfeld für Individuum, Haushalt und Gesellschaft“. An zweieinhalb Tagen diskutierten die Teilnehmer in über 190 Vorträgen, Symposien der DGE-Fachgruppen, in Arbeitsgruppen sowie Workshops über aktuelle Forschungsergebnisse im Bereich Ernährung und Lebensmittelwirtschaft. Dabei standen beispielsweise in den Symposien die Themen Fleischkonsum sowie die Gestaltung einer nachhaltigen Ernährung und nachhaltiger Ernährungssysteme im Mittelpunkt.

Gesunde Ernährung frei zugänglich machen

„Klimawandel, Artensterben, Ernährungsunsicherheit, soziale Ungleichheit und die Häufigkeit ernährungsmitbedingter Krankheiten zeigen: Unsere Ernährungssysteme müssen sich ändern. Wir brauchen Ernährungssysteme, die eine nachhaltigere Ernährung unterstützen und Ernährungssicherheit für alle gewährleisten“, bekräftigte Anette Buyken. Sie sowie ihr Kollege Lars Libuda sind Professoren am Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit der Universität Paderborn und wissenschaftliche Leiter des Kongresses. Libuda hob auf der Veranstaltung ergänzend hervor: „Gesundheitsfördernde Ernährung wird oft als zusätzliche Belastung empfunden. Eine gesunde Ernährung in fairen Umgebungen kann jedoch zur seelischen Gesundheit beitragen und dadurch die Bewältigung des Alltags zusätzlich unterstützen.“

Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen

Unterstützung bei einer ausgewogenen und nachhaltigen Ernährung bietet die DGE mit ihren zu Jahresbeginn neu vorgestellten, überarbeiteten lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen „Gut essen und trinken“ für Deutschland. Diese wurden ebenfalls im Rahmen des Kongresses vorgestellt und vertieft. Sie basieren auf einem neuen mathematischen Optimierungsmodell, das die DGE mit Unterstützung von Experten unterschiedlicher Fachrichtungen entwickelt hat. Damit liege nicht nur eine wissenschaftlich fundierte und transparente Basis für die Ableitung der Ernährungsempfehlungen vor. Sondern diese mache es auch möglich, die Zieldimensionen Gesundheit, Umweltbelastung sowie die in Deutschland üblichen Verzehrgewohnheiten gleichzeitig zu berücksichtigen, betont die Fachgesellschaft.

Neu an diesem Modell ist somit, dass es neben der Empfehlung zu einer gesunden Ernährung gleichzeitig auch Aspekte wie Nachhaltigkeit, Umweltbelastung sowie die in Deutschland üblichen Verzehrgewohnheiten berücksichtigt. Aus diesen neuen Aspekten schlussfolgern die Ernährungsexperten, dass pflanzliche Lebensmittel in der Ernährung eine noch größere Rolle spielen sollten als bislang von der DGE empfohlen. Demnach sollte der Speiseplan nun zu mehr als dreiviertel aus pflanzlichen und lediglich noch zu knapp einem Viertel aus tierischen Lebensmitteln bestehen. Das entspreche beispielsweise täglich zwei Portionen Milch und Milchprodukten, was eine Portion weniger ist als in den alten Ernährungsempfehlungen. Zudem sei es laut Ernährungsgesellschaft ausreichend, wöchentlich maximal 300 Gramm Fleisch und Wurst sowie ein Ei, zum Beispiel in Form eines Frühstückseis, zu essen. Fisch könne weiterhin ein- bis zweimal wöchentlich auf dem Teller landen. Stärker in den Empfehlungen hervorgehoben werden außerdem Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen, Linsen sowie Nüsse.

Forschung interdisziplinär gestalten

Welchen Vorteil sogenannte „Living Labs“ bei einer alltäglichen gesunden Ernährungsweise bieten, erläuterte Jacqueline Broerse, Professorin an der Freien Universität Amsterdam im Rahmen des Kongresses. Dabei handelt es sich um eine neue Form von Laboren, die es in Kooperation mit der Zivilgesellschaft ermöglichen sollen, Experimente unter Alltagsbedingungen durchzuführen und innovative Lösungen zu entwickeln, die einen nachhaltigen gesellschaftlichen Nutzen schaffen. Als interdisziplinärer Ansatz könnten sie der Expertin zufolge dazu beitragen, Lebensmittelsysteme zu transformieren und „echten Fortschritt“ zu erzielen.

Maßnahmen durch die Politik erforderlich

Inwieweit die Politik in der Pflicht ist, die individuelle Ernährungsweise positiv zu beeinflussen, führte Kirsten Schlegel-Matthies, Professorin an der Universität Paderborn, während des Kongresses aus. Eine nachhaltige, gesundheitsfördernde sowie bezahlbare Ernährung könne nicht allein durch mehr Bildung, mehr Ernährungsinformationen oder einfachere Ernährungsempfehlungen umgesetzt werden, zeigte sie sich überzeugt. Um Menschen dabei zu unterstützen, sich selbstbestimmt und nach ihren Wertvorstellungen nachhaltig und gesundheitsfördernd zu ernähren, seien andere Strukturen und auch andere Ernährungsumgebungen erforderlich, betonte Schlegel-Matthies.

Dazu könnten neben einer verpflichtenden Ernährungs- und Verbraucherbildung beispielsweise aktuell diskutierte Werbeeinschränkungen für Süßigkeiten, reduzierte Steuersätze für gesundheitsfördernde und ökologisch produzierte Lebensmittel oder strengere gesetzliche Regelungen für die Verwendung von Inhaltsstoffen sowie verpflichtende Standards für die Gemeinschaftsverpflegung gehören.

jb

 

Über den DGE-Kongress

Der erste Kongress fand 1954 in Mainz statt. Die Veranstaltungen hatten zunächst einen starken Weiterbildungscharakter und fanden in unregelmäßigen Abständen statt. Seit 1958 sind sie rein wissenschaftlich ausgerichtet und finden seit 1976 jährlich im März bislang an einem Universitäts- oder Hochschulstandort mit ernährungswissenschaftlichem Lehrstuhl statt – in diesem Jahr erstmalig an einem in Deutschland zentral gelegenen Veranstaltungsort. Ziel des Kongresses ist es, einen nationalen und länderübergreifenden wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch zu bieten sowie die Gelegenheit, Stellung zu aktuellen Ernährungsfragen zu beziehen.

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